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Willkommene Hilfe für Gießen aus China

Artikel auf Gießener Allgemeine vom 30.11.2018
https://www.giessener-allgemeine.de/giessen/willkommene-hilfe-giessen-china-11892692.html )

Von Christine Steines

Der Fachkräftemangel in der Altenpflege ist ein ungelöstes Problem. Naht nun Hilfe aus China? Das Sprachportal Gießen und Wetzlar hat Verbindungen in das Reich der Mitte geknüpft.

Sie tragen ihr Herz nicht auf der Zunge. Wie es ihnen wirklich geht in diesem fremden Land, weiß niemand so genau. Sie lächeln freundlich und kichern ein bisschen. „Alles sehr schön“. Chunyan Du und Qing Huang mögen ihre Arbeit im Alten- und Pflegeheim „Auenwiese“ in Lahnau, und vor allem mögen sie die Bewohner. „Aber es ist körperlich anstrengend“, sagt Chunyan Du. Die jungen Frauen sind zierlich – dass sie in ihrem Job an ihre Grenzen gehen, kann man sich vorstellen. Aber sie kommen seit einem Jahr gut zurecht, was auch an der Unterstützung von Christian Schneider liegt, dem Leiter der Einrichtung. Er hat dafür gesorgt, dass die Chinesinnen in eine Wohngemeinschaft in Gießen ziehen konnten, er weiß, wie wichtig Kontakt zu anderen jungen Leuten ist. Schneider schätzt die Unterstützung aus Fernost: Die höflichen und zurückhaltenden Chinesinnen kommen bei den Senioren gut an, und sie leisten zuverlässige Arbeit. „In China sind Respekt vor dem Alter und Gehorsam älteren Menschen gegenüber wichtige Werte“, sagt Wen Wu, Projektleiter beim Sprachportal. Im Haus Auengarten, in dem 78 Senioren in Wohnungen mit familienähnlichen Strukturen leben, arbeiten Pflegekräfte aus ganz unterschiedlichen Ländern; unter anderem aus Polen, der Dominikanischen Republik, aus Afghanistan und nun eben auch aus China. Entscheidend für den Erfolg ist, wie gut die Mitarbeiter die Sprache beherrschen.

Und hier kommt das Sprachportal ins Spiel. Das Institut mit Büros in Wetzlar und Gießen bietet – gefördert vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge – unter anderem Berufssprachkurse Pflege an. Zielgruppe dieser Kurse sind Pflegefachkräfte, die im Ausland bereits einen qualifizierten Abschluss in einem Pflegeberuf erworben haben und die Anerkennung dieser Ausbildung in Deutschland anstreben. Auf dem Stundenplan der Kurse für Pflegekräfte steht nicht nur Grammatik, sondern auch Pflegekonzepte, ein Praktikum und Hilfe im Dschungel der Bürokratie, erklärt Jürgen Eisold, Projektentwickler des Sprachportals. Die Chinesinnen beispielsweise haben in ihrem Heimatland einen Studiengang zur Krankenschwester absolviert. Der akademische Abschluss hat ein hohes Niveau, eine gesonderte Ausbildung zur Altenpflegerin gibt es dort aber nicht.

China steht vor großen Herausforderungen. Dank seiner Turbo-Industrialisierung steigt die Lebenserwartung, gleichzeitig gibt es aufgrund der Ein-Kind-Politik immer weniger junge Menschen – eine alarmierende Vergreisung. Bis 2040, so schätzt das Nationale Statistikbüro in Peking, steigt die Zahl der Alten auf 329 Millionen. Bisher wurden in China Senioren meist im Familienverband betreut und gepflegt, das wird künftig nicht mehr möglich sein. Auch dort werden nun Altenpflegeheime gebaut, oft dienen deutsche Konzepte als Vorbild; es gibt verschiedene deutsch-chinesische Kooperationen. Die Chance, sich im Westen in der Altenpflege zu qualifizieren, ist für junge Chinesen attraktiv. Die Frage wird jedoch sein, wie lange sie bleiben – denn in Zukunft braucht auch China ein großes Heer an Pflegekräften.

120 Pflegerinnen aus China sind im vergangenen Jahr nach Deutschland gekommen, nur zwei von ihnen sind nach ein paar Wochen zurück gegangen, die anderen hatten einen guten Start im Westen, sagt Wen Wu. Er selbst kann sich eine Rückkehr nach China nicht mehr vorstellen – er hat eine deutsche Frau geheiratet und fühlt sich in Gießen heimisch. Wichtig sei neben der Sprachvermittlung auch die soziale Begleitung, weiß der Dozent. „Wenn meine Landsleute Sorgen haben, dann sprechen sie das nicht aus, sondern verschließen den Kummer in ihren Herzen“. Sein Vorteil sei, dass sie in ihrer Muttersprache miteinander kommunizieren könnten. Er sieht in den Pflegekräften aus China eine Chance für beide Seiten. Das Institut kennt den Bedarf der Pflegeeinrichtungen vor Ort und die Gegebenheiten in China – gute Voraussetzungen also für eine Zusammenarbeit.

Und was sagen Chunyan Du und Qing Huang? Was fällt ihnen spontan zu ihrem Gastland ein? „Die Luft ist so gut, ganz wunderbar“, sagen sie. Nicht so gut finden sie die Preise der öffentlichen Verkehrsmittel. „Sehr teuer“. Das macht die Erkundung der neuen Heimat nicht leichter. Aber sie wollen auf jeden Fall bleiben. Wie heftig sie auch nach einem Jahr das Heimweh plagt, verraten sie nicht. Sie tragen ihr Herz nicht auf der Zunge.